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KI verändert den Unterricht, aber Bildung bleibt Beziehungsarbeit

Bundesbildungsministerin Karin Prien im Gespräch über Chancen und Risiken von KI im Klassenzimmer.

Bundesministerin Prien tüftelt mit Grundschülern: praxisnahes Entdecken und kritisches Reflektieren ist die Basis – KI soll nur gezielt unterstützen.
Bundesministerin Prien tüftelt mit Grundschülern: praxisnahes Entdecken und kritisches Reflektieren ist die Basis – KI soll nur gezielt unterstützen.
Bundesbildungsministerin Karin Prien
Bundesbildungsministerin Karin Prien

"Schulbank trifft Serverfarm", so könnte man zusammenfassen, was sich da gerade im deutschen Bildungssystem zusammenbraut. Während KI-Tools wie ChatGPT in Klassenzimmern immer öfter den Bleistift ersetzen, stellt sich die Frage: Sind das jetzt smarte Lernhelfer oder gar Denkbremsen?

Wir wollten wissen: Wie sieht die Frau das, die in Deutschland den Hut aufhat, wenn es um Bildung geht? Karin Prien, seit Mai 2025 im Amt als Bundesbildungsministerin, hat mit uns über Chancen und Risiken von KI im Schulalltag gesprochen. 

KI-BUZZER: Frau Ministerin, machen Sie sich manchmal Sorgen, dass KI aus wissbegierigen Kindern nur noch Copy-Paste-Künstler macht?

Karin Prien:

Wissensdurst liegt in der Natur der Menschen, denn wir sind umgeben von einer Welt, die uns immer zu Staunen und Fragen anregt. Es ist doch die Rolle von Lehrkräften, gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern ihre Umwelt kritisch zu reflektieren. Der Umgang mit KI-Systemen und deren Funktionsweise gehört jetzt eben dazu. Die Sorge, dass Denken durch bloßes Kopieren ersetzt wird, nehmen wir ernst – deshalb setzen wir auf AI Literacy und pädagogisch begleitete Nutzung. KI kann die Neugier sogar weiter fördern, wenn sie nicht als Ersatz, sondern als Impulsgeberin verstanden wird. Entscheidend ist aus meiner Sicht, dass Schulen Kompetenzen zur kritischen Bewertung und Einordnung von KI-Inhalten und damit auch zur verantwortungsvollen Nutzung von KI vermitteln. Auf diese Fragen müssen grundsätzlich die für die Schulen zuständigen Bundesländer eine Antwort finden.

KI-BUZZER: KI wird als „Lernturbo" gefeiert – aber fördert sie wirklich das Verstehen oder nur das Abgeben von perfekten Hausaufgaben?

Karin Prien:

Künstliche Intelligenz kann das Lernen personalisieren und auf den individuellen Lernstand eingehen – das eröffnet neue Chancen für vertieftes Verstehen. Sie birgt aber auch die Gefahr, dass Ergebnisse ohne eigene Auseinandersetzung übernommen werden. Deshalb müssen Aufgabenformate angepasst und die Nutzung von KI im Unterricht selbst zum Thema gemacht werden. Nur wenn ich weiß, wie KI ihre Ergebnisse erzeugt, kann ich mich sinnvoll und kritisch mit den Ergebnissen auseinandersetzen. Verstehen bleibt damit auch im Zeitalter von KI ein pädagogischer Prozess, den keine Technologie ersetzen kann. KI kann ihn sinnvoll unterstützen – wenn sie bewusst eingesetzt wird.

KI-BUZZER: Brauchen wir neue Lehrpläne – oder neue Lehrer? Wie fit sind unsere Pädagogen beim Thema KI?

Karin Prien:

Grundsätzlich betrachtet ist sicher beides notwendig: Lehrkräfte, die didaktisch fundiert mit KI-Systemen arbeiten können – und Lehrpläne, die reflektierte KI-Nutzung sowie AI Literacy fördern. Das liegt in unserem föderalen System in der Zuständigkeit der Länder. Wir als Bund sind aber unterstützend aktiv. So stärken wir mit der Förderung des „Kompetenzverbunds lernen:digital" beispielsweise die digitalisierungsbezogene Lehrkräftebildung.

KI-BUZZER: Was sagen Sie Eltern, die fürchten, dass ihre Kinder durch ChatGPT & Co das Denken verlernen?

Karin Prien:

Kinder sollen mit KI problemorientiert, kreativ und kritisch arbeiten lernen, nicht bloß übernehmen, was ein Tool vorschlägt. Es ist wichtig, dass KI nicht unreflektiert genutzt wird. Aber für uns Erwachsene gilt das ja auch. Auch wir müssen den kritischen Umgang lernen, dann können wir ihn auch weitergeben – wie bei jedem anderen Medium auch.

KI-BUZZER: In Finnland wird KI als regulärer Unterrichtsgegenstand eingeführt. Warum nicht auch bei uns?

Karin Prien:

Bildung ist in Deutschland Ländersache – und einige Bundesländer haben bereits Maßnahmen zur Integration von KI-Inhalten ergriffen. Die KMK hat 2024 Empfehlungen zum Umgang mit KI in der Schule veröffentlicht, auch AI Literacy wird zunehmend berücksichtigt. Ein eigenes Unterrichtsfach wäre ein starker Schritt. Nach meinem Eindruck setzen die Länder zunächst auf durchgängige Integration in verschiedenen Fächern. Wichtig ist: KI darf kein Zusatzthema bleiben, sondern muss Teil des Bildungsalltags werden.

KI-BUZZER: Wird die klassische Klassenarbeit bald durch KI-gestützte Lernverläufe ersetzt – oder bleibt das ein utopisches Wunschdenken?

Karin Prien:

Klar ist, Prüfungsformate und Bewertung müssen mit den neuen technischen Möglichkeiten Schritt halten. Und KI kann im Lernverlauf mit differenzierten Rückmeldungen und interaktiver Lernbegleitung unterstützen. Das kann sowohl generative KI als auch regelbasierte KI, wie in Intelligenten Tutoriellen Systemen. Zudem können Lernergebnisse im Lernprozess grundsätzlich in Bewertungen einfließen und Prüfungen ergänzen. Entscheidend ist, dass beides, Lernverlauf und Prüfungen, transparent, fair und kompetenzorientiert bleiben. Das müssen auch in Zukunft Menschen gewährleisten – KI kann unterstützen, aber nicht ersetzen.

KI-BUZZER: Viele Studierende nutzen heute KI zur Vorbereitung auf Prüfungen – ist das clever oder eine moderne Form des Betrugs?

Karin Prien:

Im Alltag von Studierenden, wie auch Schülerinnen und Schülern, ist KI längst präsent. Und natürlich benutzen sie sie auch zur Vorbereitung auf Prüfungen. Entscheidend ist nicht die Frage, ob KI genutzt wird, sondern wie – und wie Schulen zum Beispiel bei der Gestaltung von Prüfungen hierauf reagieren. In der Schule wie an anderen Lernorten müssen klare Regeln für den KI-Einsatz gelten. Richtig eingesetzt, kann KI beim Strukturieren, Üben oder Erklären helfen, und das ist doch durchaus clever. Klar ist aber auch: Täuschungsversuche bleiben Täuschung – auch mit neuen Mitteln.

KI-BUZZER: Gibt es Ihrer Meinung nach eine Gefahr, dass durch KI individuelle Schwächen besser kaschiert als gezielt gefördert werden?

Karin Prien:

Gute KI-Systeme bieten adaptive Lernwege, die auf Schwächen reagieren. Wichtig ist, dass Lehrkräfte die Daten interpretieren und pädagogisch begleiten. KI darf kein Blackbox-Feedback geben, sondern muss transparent sein. Förderung bleibt eine menschliche Aufgabe – unterstützt durch Technik zum Beispiel als Diagnosetool.

KI-BUZZER: Unternehmen suchen „Future Skills". Welche Kompetenzen brauchen junge Menschen morgen – und wie kann Schule diese heute schon fördern?

Karin Prien:

Schlüsselkompetenzen wie kritisches Denken, Kollaboration, digitale Mündigkeit und AI Literacy werden immer wichtiger. Auch Fähigkeiten wie Prompten, also Anweisungen an die KI, kreatives Problemlösen und der Umgang mit Unsicherheit gehören dazu. Alle Lernorte, nicht nur die Schule, sollten Räume schaffen, in denen diese Fähigkeiten erprobt und reflektiert werden. Digitale Tools inklusive KI können dabei unterstützen.

KI-BUZZER: Ist KI in der beruflichen Weiterbildung ein unterschätzter Gamechanger – oder ein weiteres Feigenblatt für strukturelle Reformlücken?

Karin Prien:

KI kann durch adaptive Lernsysteme und flexible Lernformate gerade in der Weiterbildung viel bewegen. Über vernetzte Plattformen können Weiterbildungsangebote gebündelt werden. Dies erleichtert die Suche nach und das Finden von passenden Angeboten und führt zu mehr Transparenz im Weiterbildungsmarkt. Dass und wie dies geht hat zum Beispiel der Innovationswettbewerb INVITE gezeigt.

KI-BUZZER: Welche Verantwortung tragen Kultusministerien, um das Thema nicht allein der EdTech-Industrie zu überlassen?

Karin Prien:

Die Kultusministerien tragen in unserem deutschen Bildungsföderalismus die Verantwortung, pädagogische Leitplanken zu setzen und Standards für den Einsatz von digitalen Bildungstechnologien zu definieren. Aber klar ist auch: EdTech-Unternehmen bieten immer mehr interessante Produkte für Schulen an. Das ist im Grunde positiv, solange die im Unterricht eingesetzten Technologien an pädagogischen und fachlichen Bedarfen und definierten Bildungszielen ausgerichtet sind und datenschutzrechtliche Grundlagen beim Umgang mit sensiblen Schülerdaten und beim Einsatz von KI in der Schule beachten. Wichtig ist daher, den Schulen und Lehrkräften Orientierung zu geben, welche Tools von öffentlicher Stelle geprüft wurden und damit eine datenschutzkonforme Lösung für den Unterricht bieten.

KI-BUZZER: Wenn Sie an den Bildungsalltag 2035 denken – wie groß ist da noch die Tafel, wie präsent der Algorithmus?

Karin Prien:

Die Tafel steht für mich vor allem für das soziale Miteinander, gemeinsame Fokussierung und gemeinsame Lernprozesse zur gleichen Zeit am gleichen Ort. Sie steht ein Stück weit auch für analoges Lernen. Das braucht es ohne Zweifel auch in der Zukunft, das darf uns nicht verloren gehen. Digitale Tafeln unterstützen schon heute das Einbeziehen des Digitalen in Phasen gemeinsamen Lernens. KI kann dieses gemeinsame Lernen gut vorbereiten. Sie muss Lernende und Lehrende dabei bestmöglich unterstützen. Der Mensch wird auch weiter am Lernort im Zentrum stehen. Denn Bildung bleibt Beziehungsarbeit – auch im Jahr 2035. Davon bin ich überzeugt.

KI-BUZZER: Frau Prien, vielen Dank für die interessanten Einblicke.

Fazit

Die Bundesministerin macht klar: Es geht nicht darum, das Denken abzugeben, sondern es neu zu lernen. Mit Hilfe von KI, ja – aber eben reflektiert, kritisch und angeleitet mit echtem menschlichen Feedback.

Prien sieht nicht den großen Umbruch, sondern einen Wandel mit Augenmaß. KI sei kein Ersatz für Lehrer, sondern ein Werkzeug, das gute Pädagogik noch besser machen könne. Natürlich nur, wenn die Technik nicht zur Blackbox verkommt, sondern transparent und sinnvoll eingebettet ist.

Was bleibt also vom Gespräch? Vielleicht die wichtigste Botschaft: Bildung bleibt Beziehungsarbeit. Auch 2035. Auch mit KI.

Weitere Stimmen zum Thema "Bildung & KI":

Highlights:

  • KI kann Lernen personalisieren, aber nicht ersetzen
  • Kritisches Denken bleibt Kernaufgabe der Schule
  • Lehrkräfte brauchen Fortbildung in KI-Kompetenz
  • Prüfungsformate müssen angepasst werden
  • Bildungspolitik muss klare Standards setzen

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