Wenn man Christine Hauck zuhört, wird schnell klar: Hier spricht jemand, der für Bildung brennt. Und für KI. Aber nicht im Silicon-Valley-Sinn von "digital ist immer besser", sondern differenziert, mit Blick auf die Wirklichkeit in deutschen Klassenzimmern.
Wir sind gespannt und wollen ihre Perspektive im Gespräch einfangen.
KI-BUZZER: Frau Christine Hauck, machen Sie sich manchmal Sorgen, dass KI aus wissbegierigen Kindern nur noch Copy-Paste-Künstler macht?
Christine Hauck:
Ich bin überzeugt davon, dass Kinder auf die Welt kommen und gerne lernen. Unsere Aufgabe ist es also, dass wir das Lernen, das ja keineswegs immer nur einfach ist, so motivierend wie möglich zu gestalten. Und KI bietet dafür ganz neue Möglichkeiten. Copy-Paste gab es auch schon vor KI. Es kommt also darauf an, Lernszenarien so motivierend und abwechslungsreich zu gestalten, dass kein Kind einfach nur kopieren will, sondern sich gerne mit den schulischen Themen auseinandersetzt.
KI-BUZZER: KI wird als „Lernturbo" gefeiert – aber fördert sie wirklich das Verstehen oder nur das Abgeben von perfekten Hausaufgaben?
Christine Hauck:
Beides ist möglich – aber das liegt nicht an der KI, sondern an der Aufgabenstellung. Wer nur nach Fakten fragt, bekommt halt perfekte Referate aus Wikipedia-Versatzstücken. Wer aber zum Denken anregt – mit offenen Fragen, Reflexion oder Perspektivwechsel – bekommt mit KI tiefere Einsichten. Der Sinn von Hausaufgaben ist ja, dass man Gelerntes vertiefen und anwenden kann. Die perfekte Lösung zählt als nicht so viel, sondern vielmehr der Weg dorthin. Und genau da kann KI eine hilfreiche Entlastung für Lehrkräfte und Eltern sein, die ihre Schüler und Kinder auf diesem Weg begleiten möchten. Wenn wir KI weniger als Lösungsgenerator und mehr als Verstehens-Verstärker sehen, ist schon viel gewonnen.
Um ein Beispiel aus dem Elternalltag zu nehmen: wenn die Kinder mit Hausaufgaben nach Hause kommen, kann man den Kindern dabei helfen, es zu verstehen oder man sagt ihnen die Lösungen vor. Mit KI ist es genauso: KI kann die Matheaufgaben einfach lösen oder es gibt KI-Angebote, die dem Lernenden Schritt für Schritt mit Erklärungen helfen.
KI-BUZZER: Brauchen wir neue Lehrpläne – oder neue Lehrer? Wie fit sind unsere Pädagogen beim Thema Künstliche Intelligenz?
Christine Hauck:
Ich möchte eine Lanze für unsere Lehrkräfte brechen: Viele Lehrkräfte sind neuen Technologien gegenüber sehr aufgeschlossen und nutzen KI bereits. Wir sehen es in unseren Befragungen von Lehrkräften: 8 von 10 Lehrkräften haben bereits Erfahrungen mit KI für den Unterricht gemacht und die Mehrheit von Ihnen sieht große Veränderungen durch KI wenn es um Hausaufgaben und Prüfungskultur geht. Was unsere Lehrkräfte aber auf jeden Fall brauchen: Fortbildungen, Zeit zum Ausprobieren – und keine Angst, Fehler zu machen.
KI-BUZZER: Was sagen Sie Eltern, die fürchten, dass ihre Kinder durch ChatGPT & Co das Denken verlernen?
Christine Hauck:
Mit dieser Angst sind wir im Bildungskontext immer wieder konfrontiert. Denken Sie nur mal an die Diskussionen rund um Wikipedia, bei denen damals schon der Tod des Schulreferats heraufbeschworen wurde. Und natürlich muss man aufpassen, dass KI nicht nur als Abkürzungs-Ermöglicher genutzt wird, Stichwort „Skill-Skipping". Aber ich möchte die Eltern an der Stelle gerne beruhigen und sie motivieren, das Thema KI proaktiv gemeinsam mit ihren Kindern zu entdecken. Kinder, die mit KI arbeiten, müssen lernen, zu hinterfragen, zu prüfen, zu reflektieren. Wer das kann, denkt nicht weniger – sondern besser. Das „Lernen lernen" im Sinne Humboldts bleibt auch mit KI relevant. Und das Lernen an sich verändert sich ja auch: Früher war beispielsweise beim Sprachenlernen einer der ersten Bausteine, dass man lernt, nach dem Weg zu fragen. Das kann man sich mit Google Maps auf dem Smartphone heute natürlich sparen und sich anderen Einstiegspunkten zuwenden. Also: Keine Panik. Das Lernen wird sich wandeln, aber das Denken wird bleiben.
KI-BUZZER: In Finnland wird KI als regulärer Unterrichtsgegenstand eingeführt. Warum nicht auch bei uns?
Christine Hauck:
Die Diskussionen um dieses oder jenes Fach, dass jetzt aber endlich mal dringend eingeführt werden muss, bringen uns nicht weiter. Aber Fakt ist natürlich, dass wir uns mit KI in der Schule auseinandersetzen müssen. In der Medienpädagogik gibt es den klassischen Satz: man lernt mit Medien und man lernt über Medien – mit KI verhält es genauso, man muss mit und über sie lernen. In fast allen Schulfächern gibt es vielfältige Anknüpfungspunkte, um über KI zu sprechen und KI selbst sinnvoll anzuwenden. Ob in Deutsch zum Thema KI als Autor oder die Rolle von Maschinen, in Ethik zum Thema Bewusstsein oder Diskriminierung von Algorithmen oder Informatik, wo direkt in die Unterschiede zwischen klassischer Programmierung und KI theoretisch und praktisch anschaulich gemacht werden können. Denn wer KI versteht, kann mit ihr gestalten.
KI-BUZZER: Wird die klassische Klassenarbeit bald durch KI-gestützte Lernverläufe ersetzt – oder bleibt das ein utopisches Wunschdenken?
Christine Hauck:
Wir müssen unterscheiden zwischen Prüfung und Lernen. Also auf der einen Seite gibt es aktuell Prüfungen als Formate, die zeigen sollen, wo jede einzelne Schülerin oder jeder einzelne Schüler steht. Das läuft heute noch ohne KI ab, aber wer weiß wie es in Zukunft wird. Ich kann mir Szenarien vorstellen, in denen KI ähnlich wie den Taschenrechnern genutzt werden kann, aber das ist noch Zukunftsmusik. Auf der anderen Seite müssen wir uns auch den Lernprozess an sich ansehen. Das Potenzial von KI liegt hier aus meiner Sicht in intelligenten Tutoring-Systemen, die beim Lernen helfen und das Verstehen begleiten. Wie ein persönlicher Sokrates auf dem Smartphone, mit dem ich in den Dialog treten kann. Die Zukunft ist nicht „entweder Tafel oder Tablet", sondern hybrid – KI inklusive.
KI-BUZZER: Viele Studierende nutzen heute KI zur Vorbereitung auf Prüfungen – ist das clever oder eine moderne Form des Betrugs?
Christine Hauck:
Clever, wenn man sie nutzt, um zu verstehen. Kritisch, wenn man sie nutzt, um zu täuschen. KI kann super erklären, strukturieren, abfragen – aber sie kann auch täuschen helfen. Die Grenze verläuft nicht zwischen analog und digital, sondern zwischen Lernen und Schummeln. Und die Unterscheidung ist älter als jede Technologie. Auch zu meinen Schulzeiten war der Spickzettel ein gutes Mittel, um die Lerninhalte sinnvoll zusammenzufassen. Nur in der Prüfung sollte man ihn dann natürlich nicht einsetzen (lacht). Ähnlich ist es auch mit KI. Und ganz grundsätzlich sollten wir unsere Prüfungsformate selbst auf den Prüfstand stellen und die Frage stellen: ist eine Prüfung, die eine KI heute problemlos meistern kann, noch eine gute Prüfung?
KI-BUZZER: Gibt es Ihrer Meinung nach eine Gefahr, dass durch KI individuelle Schwächen besser kaschiert als gezielt gefördert werden?
Christine Hauck:
Grundsätzlich ist es schon so, dass uns die KI gerne umschmeichelt und den Nutzenden eher bestätigen will. Auch hier kommt es wieder darauf an, dass wir die KI-Kompetenz (im englischen gibt es den Begriff AI-Literacy) erhöhen und wissen, wie wir damit umgehen sollten. Also: Wie kann ich die KI beispielsweise nutzen, um meine eigenen Texte und meine eigenen Schreibfähigkeiten besser zu machen?
KI-BUZZER: Unternehmen suchen „Future Skills". Welche Kompetenzen brauchen junge Menschen morgen – und wie kann Schule diese heute schon fördern?
Christine Hauck:
Es gibt das 4K-Modell des Lernens, in dem vier Kompetenzen formuliert werden, die für die Zukunft von besonderer Bedeutung sein werden: Kreativität, kritisches Denken, Kommunikation und Kollaboration. Projektorientiertes Arbeiten über Fächergrenzen hinweg sind ein wichtiger Meilenstein diese 4K zu fördern. Das Modell wurde schon vor den enormen Erfolgen von KI entwickelt und ich finde es immer noch sehr sinnvoll. Darüber hinaus wird es immer wichtiger, dass junge Menschen ein grundlegendes Verständnis für digitale Technologien und insbesondere für Künstliche Intelligenz entwickeln – also sogenannte KI-Kompetenz. Dazu gehört nicht nur zu wissen, wie KI funktioniert, sondern auch, wie sie unsere Gesellschaft, unsere Arbeitswelt und unser Denken beeinflusst. Schulen können das fördern, indem sie Räume schaffen, in denen Schüler KI nicht nur nutzen, sondern auch kritisch hinterfragen und reflektieren – etwa in interdisziplinären Projekten, in denen Technik, Ethik und Kreativität zusammenkommen.
KI-BUZZER: Ist KI in der beruflichen Weiterbildung ein unterschätzter Gamechanger – oder ein weiteres Feigenblatt für strukturelle Reformlücken?
Christine Hauck:
Es gibt dieses schöne Sprachbild, übrigens aus den 1980er Jahren, wonach Lehrer vor der Aufgabe stehen, eine Wandergruppe von Spitzensportlern und Anfängern bei Nebel durch unwegsames Gelände zu führen, so dass alle bei bester Laune, gleichzeitig an drei verschiedenen Zielorten ankommen. Lehren war also schon immer eine große Aufgabe. Lehrkräfte heute sind in allen Schulformen sind mit noch mehr Heterogenität konfrontiert, d.h. die Zusammensetzung der Lernenden in einer Klasse ist im Vergleich noch vielfältiger geworden – in Bezug auf Herkunft, Sprache, Leistungsniveau, Interessen, Lernvoraussetzungen oder soziale Hintergründe. Hinzu kommt, dass sich in Deutschland einfach insgesamt zu wenig Menschen für ein Lehramtsstudium entscheiden und es seit Jahren einen Lehrkräftemangel gibt. Das verschärft die Situation weiter. KI kann hier einen Beitrag zu Unterstützung leisten, indem Lehrkräfte die Technologie beispielsweise bei der Unterrichtsvorbereitung und Materialerstellung nutzen und so mehr Zeit für die individuelle Förderung im Klassenzimmer bleibt. Gleichwohl braucht es Investitionen in das Bildungssystem, nicht nur mehr Lehrkräfte, sondern insgesamt multiprofessionelle Teams aus Lehrern, Erzieher, Sozialarbeiter, Psychologen und Schulverwaltungsassistenzen.
KI-BUZZER: Welche Verantwortung tragen Kultusministerien, um das Thema nicht der EdTech-Industrie zu überlassen?
Christine Hauck:
Wir müssen alle Hand in Hand arbeiten, um bestmögliche Bildung für die nächsten Generationen zu ermöglichen. Der Staat muss dafür Rahmenbedingungen schaffen, in denen die Bildungswirtschaft innovative Lehr- und Lernmaterialien zur Verfügung stellen kann. Natürlich – und darüber haben wir noch gar nicht gesprochen – in einem DSGVO-konformen Rahmen. Was nicht passieren darf, dass noch mehr an den Inhalten gespart wird. Die Mittel, die für Bildungsmedien also Inhalte zur Verfügung stehen, bleiben seit Jahren unverändert bei ungefähr 50 Euro pro Schüler. Wie wenig das ist, zeigt der Blick ins europäische Ausland: in Skandinavien liegen die Investitionen doppelt bis vierfach so hoch.
KI-BUZZER: Wenn Sie an den Bildungsalltag 2035 denken – wie groß ist da noch die Tafel, wie präsent der Algorithmus?
Christine Hauck:
Mit dem Aufkommen von generativer KI stehen wir vor großen Veränderungen in der Bildungslandschaft. Auch wenn es nicht überall gleich schnell gehen wird, erwarten wir einen Wandel des Unterrichts, hin zu mehr Individualisierung und Kompetenzorientierung. Der persönliche Lernstand der Schüler wird immer mehr in den Fokus rücken und Lehrkräfte werden immer mehr zu Coaches und fördern selbständiges, emotionales und soziales Lernen in Gruppen. Technologie eröffnet so den Raum für mehr Lernerfolg und Zeit für gute Schüler-Lehrer-Interaktion. Kurzum: neben die Tafel, die ja schon längst ein Whiteboard ist, kommt KI, aber am Ende zählt, was schon immer zählte: Neugier, Beziehung, Begeisterung.
KI-BUZZER: Frau Hauck, vielen Dank für das interessante Gespräch.
Hauck plädiert für einen offenen und neugierigen Umgang mit KI. Sie will Lehrkräften Mut machen, sich auszuprobieren. Fehler? Gehören dazu. Eltern? Dürfen mitlernen. Und Schüler? Sollen mit KI reflektieren, zweifeln und aktiv hinterfragen.
Besonders schön ist ihr Bild vom "persönlichen Sokrates auf dem Smartphone" – eine KI, die nicht nur Lösungen vorgibt, sondern zum Mitdenken und Entdecken animiert. Natürlich braucht es dafür gute Aufgabenstellungen, digitale Kompetenz und klare Regeln. Aber hey, das ist machbar.
Am Ende bleibt auch bei Hauck die Botschaft: Bildung ist und bleibt Beziehungsarbeit. Mit oder ohne KI. Aber mit KI könnte sie ein bisschen menschlicher werden, weil Lehrkräfte endlich mehr Zeit für das Wesentliche haben: ihre Schüler.
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